no animals were harmed

Gerechtigkeit für Computeranimierte Pornodarsteller:innen

Post.human? @ Exhibition Lab, 2022.


Pornografie im Internet gehört zu unserem Alltag. Laut der Studie über sexuelles Verhalten, Einstellungen und sexuelle Gesundheit in Deutschland des GeSiD[1], haben 2017 88% der Männer und 43% der Frauen zwischen 18 und 60 Jahren Pornografie im Internet konsumiert. Dabei ist zu beobachten, dass die gezeigten Inhalte immer brutaler werden. Bei den drei grössten europäischen Pornostreaming Seiten PornHub, xHamster und xVideos werden immer mehr brutale oder illegale Inhalte angeboten um die Klicks auf den Webseiten zu steigern.

Während sich zwei der drei Seiten für die Verbreitung von sexualisierter Gewalt oder bildbasierter, sexualisierter Gewalt sowie illegalen Praktiken (das sind pornografische Inhalte, welche ohne Zustimmung der Beteiligten veröffentlicht wurden) vor Gericht verantworten mussten, konnte sich xVideos bis heute allen Massnahmen entziehen.[2]Auch häufen sich die Anschuldigungen von Pornodarsteller:innen zu Aufnahmen gezwungen worden zu sein oder körperliche Gewalt erlebt zu haben, wie die tschechische Zeitung Denik N in einem Bericht 2021schreibt. Die Frauen folgten einem Casting-Aufruf für Models – vor Ort seien ihnen aber Verträge für einen Pornodreh vorgelegt worden. Man habe sie zu Sex vor der Kamera gedrängt und mit hohen Vertragsstrafen gedroht. Der Zeitung zufolge seien auch Darsteller:innen Schmerzmittel verabreicht worden, damit sie trotz Blutungen und Verletzungen weiterdrehen konnten. Eine Darstellerin hätte sogar im Anschluss im Krankenhaus behandelt werden müssen, heisst es.

Natürlich ist es schwierig zu prüfen, ob jemand in einem Video zu Schaden gekommen ist, ob tatsächlich eine Straftat vorliegt oder ob alles nur gespielt war. Ebenfalls schwierig ist nachzuvollziehen weshalb solche Inhalte überhaupt konsumiert werden. Wahrscheinlich ist es vergleichbar mit einem Autounfall – wir wissen, dass wir nicht hinschauen sollten aber wir tun es trotzdem. Klar scheint auf jeden Fall, dass sich solche Innhalte auf das Verhalten der Konsument:innen auswirkt: Sie bilden eine Toleranz gegenüber brutaler Inhalte und schauen sich immer krassere Videos an. Wie oben zu lesen ist, sind dem menschlichen Körper aber Grenzen gesetzt, was seine physische und psychische Leidensfähigkeit angeht. Ebenso fördert solches Bildmaterial eine herablassende Haltung sowie die Objektivierung von Frauen. Auch ist zu beobachten, dass sich Jugendliche solche Pornografischen Inhalte zum Vorbild nehmen und eine völlig realitätsfremde Vorstellung davon entwickeln wie Sex funktionieren sollte und wo ihre sexuellen Präferenzen liegen.

Die Lösung schien mir zuerst naheliegend: Wir sollten uns nur noch 3D animierte Pornografie zu Gemüte führen, so können keine Darsteller:innen zu Schaden kommen und es ist von Beginn an klar, dass Handlungen und Akteure rein fiktiver Natur sind.

Nach dem ich mir nun aber zwecks meiner künstlerischen Videoarbeit no animals were harmed, stundenlang 3D animierte und gezeichnete Pornografie reingezogen habe, regt sich in mir grosses Mitleid für diese Pornodarsteller:innen sowie ein anhaltender Knoten im Magen. Plötzlich kennt die Grösse von gezeigten Genitalien keine physischen Grenzen mehr und Praktiken, welche im echten Leben zum Tod führen, werden problemlos überlebt. Auch der Geschlechtsakt mit Kindern, Tieren und Mischwesen ist möglich und legal. Bei besonders brutalen oder fragwürdigen Inhalten ist häufig eine Entmenschlichung der animierten Darsteller:innen zu beobachten.

So fragt man sich, ob nicht auch computeranimierten Pornodarsteller:innen gewisse Rechte zugesprochen werden sollten – zum Vorteil aller Beteiligten! Diese Forderung scheint im ersten Moment vielleicht etwas futuristisch aber glücklicherweise ist das Gebiet der Roboterethik nicht ganz neu. Besonders im Umgang mit sogenannten Sexrobotern[3] hat sich die Philosophin Janina Loh mit der Zuschreibung von Rechten auseinander gesetzt. Die Probleme sind ähnlich wie bei den 3D animierten Pornodarsteller:inen (und auch den oben genannten Frauen). So kann der Sexroboter Samantha «nein» sagen, nur damit sich dessen Besitzer über das Nein hinwegsetzen kann.[4] Im Gegensatz zu einem menschlichen Wesen kann mit diesen Robotern und animierten Entitäten alles, wirklich ALLES gemacht werden! Diese Haltung gegenüber anthropomorphen Wesen kann im Umkehrschluss zu Erwartungshaltungen gegenüber Menschen führen und herablassendes Verhalten, primär gegenüber Frauen, verstärken. So plädiere ich für eine vermehrte Auseinandersetzung mit feministischen roboterethischen Ansätzen[5] und Rechte für 3D animierte als auch gezeichnete Pornodarsteller:innen zum Wohle von uns allen.


Sam Heller, 2022


http://samheller.ch
https://exhibitionlab.ch
https://posthumanclash.ch

Einzelnachweise

[1] GeSiD Studie über Sexuelles Verhalten, Einstellungen und sexuelle Gesundheit in Deutschland, 2017, S. 42. https://gesid.eu/wp-content/uploads/2018/09/Endbericht-Pilotstudie-2017.pdf.

[2] https://netzpolitik.org/2022/xvideos-wie-wenig-pornoseite-gegen-sexualisierte-gewalt-tut/.

[3] Ein Sexroboter ist ein Roboter bzw. eine elektronische Sexpuppe, die im Gegensatz zu einer reinen Sexmaschine meist ein anthropomorphes Aussehen hat und für sexuelle Handlungen oder Fantasien genutzt wird. Bsp: Harmony oder Samantha.

[4] Loh, J. (2019) Roboterethik. Berlin: Suhrkamp. S. 29 - 30.

[5] Ebd., S. 41.